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Rechtsanwaltskammer Wien gegen “Handeln nach Weisungen” von Rechtssuchenden für Rechtsanwälte


Unser Leser übermittelte die Kommunikation zwischen ihm und einem Rechtsanwalt der Berufsüberwachung der Rechtsanwaltskammer Wien.
Darin teilte der Rechtsanwalt mit: “Eine Vertretung ist grundsätzlich möglich. Allerdings können Sie bei mir lediglich rechtliche Beratung und die Vertretungsleistungsleistungen vor Gericht bekommen; Handeln nach „Weisungen“ kann ich Ihnen leider nicht zusagen.”

Weiters bestätigte dieser Rechtsanwalt nicht, dass, wenn er Weisungen unseres Lesers missachtet, er dann bereit ist, die Verantwortung für einen verlorenen Prozess zu tragen.

Unser Leser verwies auf die rechtliche Beurteilung in der Entscheidung 7Ra61/00i worin es heißt:
Grundsätzlich ist der Rechtsanwalt an Weisungen seines Auftraggebers gebunden, trägt doch der Mandant allein das mit der Durchführung des Auftrages verbundene Erfolgs- und Kostenrisiko und muss deshalb auch den wesentlichen Gang der Mandatserledigung steuern können.

Weiters verwies unser Leser auf den Rechtssatz RS0116278 worin es heißt :
Der Rechtsanwalt hat keinen Anspruch auf Honorar, wenn der Mandant beweist, dass und aus welchen Gründen die Leistung wertlos ist. Weist der Mandant nach, dass der Rechtsanwalt eine für den Prozessausgang wesentliche Weisung nicht befolgt hat, so ist bereits damit die einer Nichterfüllung des Anwaltsvertrags gleichkommende Schlechterfüllung bewiesen, weil es zu den Hauptpflichten des Rechtsanwalts gehört, (gesetzmäßige) Weisungen seines Mandanten zu befolgen. In einem solchen Fall verliert der Rechtsanwalt seinen Honoraranspruch, wenn er nicht beweist, dass sein weisungswidriges Handeln für den Prozesserfolg unschädlich war.“

Im Urteil OGH 09.04.2002, 4 Ob 83/02p wies der Mandant seinen Rechtsanwalt unter anderem an, die Krankenakte einzufordern, was der Rechtsanwalt jedoch ignorierte.
Zu den wichtigsten Aufgaben des Rechtsanwalts gehört die erforderliche Belehrung seines meist rechtsunkundigen Mandanten (1 Ob 785/83 = SZ 56/181 mwN). Der Rechtsanwalt ist auch, so wie jeder Geschäftsbesorger, an Weisungen seines Mandanten grundsätzlich gebunden. Ausgenommen sind vertrags‑, gesetz- oder sittenwidrige Weisungen; ein Rechtsanwalt braucht auch rein prozesstaktische Weisungen nicht unbedingt zu befolgen (Strasser aaO § 1009 Rz 14 mwN). Will der Rechtsanwalt von Weisungen seines Mandanten abgehen oder sind die Weisungen widersprüchlich oder nicht genügend bestimmt, so muss er, außer bei Gefahr im Verzug, rückfragen (6 Ob 610/83 = RdW 1983, 106; 6 Ob 226/97x = AnwBl 1998/7510). Belehrt der Rechtsanwalt seinen Mandanten nicht ausreichend, weicht er von, dem Prozessstandpunkt seines Mandanten dienlichen Weisungen ab und/oder unterlässt er notwendiges Vorbringen, so ist er dem Mandanten bei Verschulden zum Schadenersatz verpflichtet.
Bei der Weisung zur Beschaffung der Krankenakte, um weitere Beweise im Verfahren vorlegen zu können, handelt es sich zweifellos um eine prozesstaktische Weisung, welcher der Anwalt zwar nicht unbedingt nachkommen hätte müssen, aber dessen Ignorierung als eine “unverantwortliche” Nichtbefolgung von Weisungen erscheint und es sich dabei somit um eine Pflichtverletzung handelt.

Strasser aaO § 1009 Rz 14 mwN:
Obwohl § 1009 nur von der beschränkten Vollmacht spricht, ist unstreitig davon auszugehen, daß dem Auftraggeber wie dem Machtgeber grundsätzl ein Weisungsrecht gegenüber dem Auftragnehmer bzw Machthaber, den eine entsprechende Gehorsamspflicht trifft, zusteht, das bei Vertragsschluß bzw Machterteilung, aber auch während des Laufes des Auftrags- bzw
Vollmachtsverhältnisses ausgeübt werden kann, vgl SZ 4/51; s a Stanzl in Klang 815. Sachl Grenzen dieses Weisungsrechtes bestimmen sich nach Vertragsinhalt bzw Erklärungsinhalt (bei Vollmacht u Ermächtigung). Insofern besteht Zusammenhang zwischen Geschäftsbesorgungspflicht u Weisungsrecht. MaW heißt dies, Grenzen der vereinbarten Geschäftsbesorgungspflicht können durch Ausübung des Weisungsrechtes nicht überschritten werden (zB durch eine durch die getroffene Vereinbarung nicht gedeckte Weisung zur zinsgünstigen Anlegung von vereinbarten Geldern in der Zeit zwischen Hereinnahme u ohne Verzug erfolgter Herausgabe an den Auftraggeber; Miet 35.120 = ImmZ 1984, 287 = RdW 1984, 40); (vertragl) Ausschluß des Weisungsrechtes ist aber zulässig (unbeschränkte Vollmacht, unbeschränkter Auftrag). Weisungsrecht ist kein essentiale negotii für Auftrag
(Bevollmächtigungsvertrag, Vollmacht). Grenzen des Weisungsrechtes können sich aber auch aus der Qualifikation des Beauftragten ergeben. So braucht zB Anwalt rein prozeßtaktische Weisungen des Klienten nicht unbedingt zu befolgen, ZBl 1928/3. Vertrags-, gesetz- u sittenwidrige Weisungen braucht bzw darf der Geschäftsbesorger nicht befolgen. In einer vollmachtswidrigen Weisung kann jedoch (zulässige) Einschränkung oder Erweiterung der ursprüngl erteilten Vollmacht liegen. Bei mehreren Auftraggebern (zB Miteigentümer eines Hauses dem Hausverwalter gegenüber) liegt Weisung nur vor, wenn sie durch
Mehrheitsbeschluß gedeckt ist. Ansonsten, aber auch bei widersprechenden „Weisungen“ zweier Auftraggeber, liegt keine Weisung vor. Unzweckmäßige u dem Geschäft abträgl Weisungen lösen beim Geschäftsbesorger Aufklärungspflicht aus (Rz 10). UU ist der
Beauftragte verpflichtet, Weisungen von sich aus einzuholen (wenn zB der Auftrag nicht ausreichend bestimmt ist [wbl 1987, 212; Miet 35.119 = RdW 1983, 106] oder die Weiterführung des erteilten Auftrages unzweckmäßig oder sinnlos geworden ist oder die Weisungen widersprüchlich sind, Miet 35.119 = RdW 1983, 106; vgl JBl 1982, 211, wo freilich der Vertrag zwischen einem Privatdetektiv u seinem Klienten zu Unrecht als Auftrag qualifiziert wurde).

ZBl 1928/3 (Österreichisches Zentralblatt für die juristische Praxis):
Aus der Bestimmung des 9 RAO ist die von der Rev. aufgestellte Forderung nicht abzuleiten, daß der Anwalt den Aufträgen des Klienten auch in rein prozeßtaktischer Hinsicht unbedingt entsprechen müsse. Nur ,,unverantwortliche” Nichtbefolgung von Weisungen erscheint als Pflichtverletzung (Lohs i n g, 105).

Apathy/Burtscher in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB Praxiskommentar Band 65 (2021) § 1009 ABGB Rz 16:
Der Gewalthaber darf sich aber nicht blind auf die Weisung des Machtgebers verlassen; er schuldet „denkenden Gehorsam“. (6 Ob 183/13z = RWZ 2014/26 (Anm Wenger); Rubin in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 Rz 42 ff.)
Würde weisungsgemäßes Handeln die Interessen des Machtgebers beeinträchtigen, so hat der Gewalthaber den Machtgeber aufzuklären und dessen Weisung einzuholen (Schey, Obligationsverhältnisse 552 f; Schurr in Schwimann/Neumayr4 Rz 2; Stanzl in Klang2 IV/1, 821; Strasser in Rummel3 Rz 14; Pittl/Niedrist, FS M. Binder 136; Herndl, ÖBA 2018, 315: wahrscheinlich uneinbringlicher Rückgriffsanspruch bei Interzession.)
und grundsätzlich dessen Entscheidung abzuwarten. (Apathy/Perner in Artmann3 § 385 UGB Rz 5.)
Hält der Machtgeber seine Weisung aufrecht, so muss der Gewalthaber weisungsgemäß handeln oder den Auftrag kündigen. (Stanzl in Klang2 IV/1, 821.)
Die Einhaltung der Weisung befreit den Gewalthaber aber selbstverständlich nicht von der Haftung gegenüber Dritten, etwa gegenüber einem anderen Machtgeber (Rz 18). Bei Gefahr im Verzug (§ 385 Abs 2 UGB) Vgl ZAS 1985/7 (Anm Beck-Mannagetta): Unerreichbarkeit des Geschäftsführers.)
muss der Gewalthaber von einer Weisung abgehen, deren Befolgung den Interessen des Machtgebers schadete. (4 Ob 83/02p = SZ 2002/46; Griss in Straube4 § 385 UGB Rz 2; Apathy/Perner in Artmann3 § 385 UGB Rz 6.) Dieser Vorrang der Pflicht zur Wahrung der Interessen vor der Gehorsamspflicht besteht erst recht bei nicht bindenden Instruktionen. (Vgl EvBl 1959/261; Schey, Obligationsverhältnisse 552.)”

Anstatt der Beschwerde zu entsprechen teilte der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien in GZ 06/03 0003/2023 folgendes mit:
Zu Ihrer Eingabe vom 31.10.2023, teilt der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien mit, dass Rechtsanwälte nicht dazu verpflichtet sind, den Weisungen der Partei blind zu folgen. Vielmehr sind Rechtsanwälte angehalten, iSd § 9 Abs 1 RAO zu entscheiden, welche Angriffs- bzw Verteidigungsmittel sie zur Durchsetzung der Ansprüche des Mandanten, für dienlich erachten.
Vor diesem Hintergrund können Ihrer Eingabe keine Anhaltspunkte entnommen werden, die die Ergreifung standesbehördlicher Maßnahmen gegen Herrn RA Mag. X gerechtfertigt erscheinen ließen.
Der Akt wird abgelegt.

Dazu ist zu sagen, dass der, an die Berufsaufsicht der Rechtsanwaltskammer Wien, übermittelten Kommunikation zwischen unserem Leser und diesem Rechtsanwalt an keiner Stelle zu entnehmen ist, dass der Anwalt den Weisungen blind zu folgen hätte.

Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien ignoriert die Mitteilung des Anwaltes “Handeln nach „Weisungen“ kann ich Ihnen leider nicht zusagen” womit die kategorische Verneinung der Weisungsbefolgung zu entnehmen ist, was, wie bereits aufgezeigt, einen Verstoß gegen die RAO (Rechtsanwaltsordnung) und anderen Gesetzen, sowie der Judikatur und Literatur darstellt.

Unser Leser wendet sich nun mit einer Beschwerde über den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien an die GRÜNE Justizministerin Alma Zadic, welche auf diesen Artkeil verweist und eine Stellungnahme einfordert, welche sodann hier veröffentlicht wird.